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Musik im Kontext - Peter Gülke und Nikolaus Brass

Betriebswerk Heidelberg

Peter Gülke (c) Rüdiger Böhme
Peter Gülke (c) Rüdiger Böhme

Echos mit Sibyllen (2019)

für vier Stimmen und vier Instrumente

zu den Prophetiae Sibyllarum (~ 1560) von Orlando di Lasso

Ein Kompositionsauftrag des KlangForum Heidelberg

Ich habe einmal kühn behauptet, nur im Bezug zur Tradition finden wir heutigen Komponisten unser Maß. So sind die Echos mit Sibyllen ein weiterer Versuch (nach der Auseinandersetzung mit den musikalischen Exequien von Heinrich Schütz), dieses Maß wenigsten auszuhalten, denn es ist unerbittlich. Als ich mich den 4-stimmigen Prophetiae Sibyllarum von Lasso begreifenwollend näherte, schwand der Mut des Dreikäsehochs. Musik, Text und Proportionen bildeten eine uneindringbare Festung von Eigensinn. Ich sah keine Lücke, wo ich mich einnisten konnte.

So folgte ich den Schleifspuren meines Abprallens vor Lassos Satz- und Baukunst, ich fand mich zurückgeworfen vor dem Stück wieder, nicht in ihm. Die Carmina chromatica stehen als eigentümlicher Wegweiser am Eingang ins dann wirklich „chromatische“ 12-teilige Labyrinth der Prophetiae. So beginnt mein Stück präambulierend vor diesem Hinweisschild, dessen Text meine alte Lasso-Ausgabe einschüchternd übersetzt mit: „Lieder aus fremden Bezirk wirst Du in kunstvollem Satz vernehmen“, und rahmt es mit einem zweiten Präambulum ein. Ein Herumschleichen, noch kein wirkliches Herantreten. Nach der ersten der Sibyllen, der aus Persien, stellt sich das „1. Echo“ ein: Ille Deus casta nascetur virgine magnus. Diese intensive sprachliche und generative Verschränkung von Stärkstem (Ille Deus magnus, jener große Gott), das hervorgeht aus „Schwächstem“ (nascetur casta Virgo, wird aus der unberührten Jungfrau geboren) brachte eine Musik ins Rollen, die die innere Spannung dieser Verschränkung in sich trägt und zur Wunderwelt von Lassos Chromatik die Eigenwelt der natürlichen Spektraltöne hinzufügt. Dieses „Echo“ spinnt auch noch die Textzeile weiter: multi multa ferrent (übersetzbar mit: Viele müssen vieles ertragen). Nach der prophetischen Rede der Lybischen Sibylle erscheinen weitere „Echos“: eines für Sopran und Alt (per saecula vivus, über die Zeitalter hinweg lebend), gefolgt von einem rein instrumentalen Echo (Princeps irradians, leuchtender, schillernder Fürst), dem sich ein 4. Echo anschließt (Lumine clarescet, in strahlendes Licht getaucht). Nach den Stimmen weiterer Sibyllen folgen „Echo 5“ mit dem verheißungsvollen Satz: ecce dies nigras quae tollet laeta tenebras (sieh den freudenvollen Tag, der die schwarzen Finsternisse aufhebt) und „Echo 6“, ein wieder rein instrumentaler Vers auf den Satz: er wird der Welt als Armer übergeben (edetur mundo pauper), bis das Stück dann mit dem „7. Echo“ schließt: humano simul et divino semine natus (Geboren aus menschlichem und zugleich göttlichem Samen).

In der Struktur des Echos liegt, dass es undeutlich ist, aber nachwirkend. Fragwürdig, aber wenn es zu hören ist, beglückend. Man sucht nach den Orten, wo es zu uns spricht. Oft bleibt vom Echo nur sein Fehlen. Die Unverständlichkeit des Echos ist es, die es uns immer wieder suchen lässt.

Nikolaus Brass (Oktober 2019)

Gäste: Peter Gülke (Weimar) | Nikolaus Brass (Lindau)

SCHOLA HEIDELBERG | ensemble aisthesis | Leitung: Walter Nußbaum