Diskographie

Ethica

Dániel Péter Biró

Ethica CD - Dániel Péter Biró
Ethica

Wer flüstert, hat aber doch dringend etwas mitzuteilen, darf aber eigentlich nicht gehört werden Flüstern birgt (dem einzelnen nahen Ohr exklusiv enthüllte) Geheimnisse und ist damit in höchstem Maß suggestiv Dass Informationen sich in diesem zischelnd gedimmten Brodeln unter der klanglichen Oberfläche häufig nicht eins zu eins übermitteln, sondern interpretiert werden müssen, zeigt das Spiel „Stille Post“, das wegen der Fremdartigkeit der dabei entstehenden Botschaften andernorts „Chinese Whispers“ oder „Téléphone arabe“ heißt.
In Dániel Peter Birós Ethica-Zyklus wird viel geflüstert, und alle genannten Aspekte spielen dabei eine Rolle Ein einzelnes Flüstern eröffnet das Werk Nulla Res Singularis Es verliert die typischen Formanten und Charakteristika der menschlichen Stimme Dafür bekommt es eine besondere Gestalt, manchmal sogar Schärfe durch die übermäßige Hervorhebung der Konsonanten – ein Aspekt, der schon im Prolog zu Luigi Nonos Hörtragödie Prometeo sehr alten Texten eine abstrakt-intensive Kontur verleiht; fremdartig, geheimnisvoll, suggestiv.
Die Streichinstrumente öffnen und geben Räume Flatternd oder schwebend, mit Trillern in höchster Lage, Tremoli oder Flageoletts sind sie anwesend und doch vielfach in ihrer Präsenz zurückgenommen Die gesungenen Passagen spannen den zeitlichen Bogen weit zurück, verweisen auf sakrale Klänge aus der Frühzeit ihrer Überlieferung und auf frühe Mehrstimmigkeit – die wir aber durch eine Linse betrachten: ausgefranst an den Rändern und aus der eindeutigen Spur geraten Die Botschaft der Worte und Klänge erreicht uns damit wie durch ein Wurmloch aus Spinozas Zeit: historisch, aber mit einer heute neu zu entschlüsselnden Bedeutung.
Musik oder Philosophie? Scholium Secundum ist dem Titel nach nur eine erklärende „Anmerkung“ zu dieser Frage, eine Fußnote Am Fuße, am Urgrund des Erkennens befinden wir uns tatsächlich, wenn wir Spinozas zitierten und vertonten Überlegungen folgen Häufig verharrt Birós Musik auf einem Ton, scheint zu überlegen oder beim Lesen des Textes zu buchstabieren, verweist in komponierten Exkursen auf strenge Tora- und Gregorianik-Traditionen der Rezitation Aber in diesem „Scholium“ wird gezaubert, und der atmosphärisch-akustische Raum wird weit gespannt; Glissandi verschwinden in der Höhe, Mikrotöne verwischen die Eindeutigkeit Der ruhige Puls trägt uns durch die verschiedenen Abschnitte, rätselhaft-fordernd modellieren sich einzelne Gesten heraus Spinozas Frage nach dem Erkennen ist eine musikalische geworden Eine Musik zwischen oszillierender Bewegung und Stillstand, zwischen archaischer Atmosphäre und aktuellem Anspruch Irgendwie ist sie damit aus der Zeit gefallen und vielleicht gerade deshalb gültig.


Lydia Jeschke

    Kaufbetrag: 20,00 €