Sternbild: Mensch
Das Bild vom Kosmos
Schon von je hat des Menschen Bild vom Kosmos eine doppelte Perspektive: die des Blickes wie die der Projektion. Unser Projekt, das sowohl in den Resonanzräumen klassischer Konzertsäle als auch im virtuell unendlichen Raum moderner Digitalplanetarien stattfinden wird, verbindet beide Sichtweisen des Kosmos zu neuen Hörperspektiven.
Den beobachtbaren Himmelsveränderungen, dokumentiert seit Pythagoras, gelten die ältesten Spekulationen menschlicher Forschung. Bereits in vorsokratischer Zeit wurden mit denselben einfachen "harmonischen" Zahlenverhältnissen Planeten und ihre Bahnen ebenso dargestellt wie die musikalischen Zusammenklänge und Intervalle. Diese Vorstellung finden wir noch in der "Weltenharmonik" der Universalgelehrten der Renaissance und der frühen Neuzeit (Johannes Kepler, Athanasius Kircher u.a.); κόσμος (gr.) bedeutet hier sowohl "Schönheit" wie "Ordnung".
Das „Sternbild: Mensch“ gibt es nicht, aber jedes Bild vom Kosmos ist auch Weltbild.
Kosmos als doppelte Inspiration
Ständig waren die unerreichbaren Sterne aber auch Inbegriff des nicht Fassbaren und Objekte der Inspiration für menschliche Fantasie, spirituelles Erleben und Vorstellung des Unendlichen: somit Abbilder eines Übermenschlichen (Kosmologie) oder Göttlichen (Theologie). Im Begriff des Himmels verbinden sich auf diese Weise und in solcher Tradition stets gegenständliche mit metaphorischen Ideen.
Nicht ohne Grund begann die Musikgeschichte des 20. Jahrhundert mit Schönbergs Beschwörung der "luft von anderem planeten" in Stefan Georges Worten, als eine poetisch-imaginative Ahnung neuer Welten und neuer Kosmen. Schon bald aber sollten in gleichem Maße auch wissenschaftliche Theorien wie die Relativitätstheorie, die Quantenmechanik, die Wellentheorie, die Statistik und schließlich „Big Data“ künstlerische Konzeptionen maßgeblich prägen.
Immer hatte das rational-wissenschaftliche Verständnis eines Fortschritts von Material, Werkzeug und Technologie auch starke philosophische und spirituelle Komponenten; hörbarerweise manifestierte sich dies in der Erweiterung und Weitung gedachter Klang-Räume ins Konstruktiv-Fantastische (Iannis Xenakis, Edgard Varèse) oder ins Kosmische (Karlheinz Stockhausen, Gérard Grisey); auch in der Philosophie von John Cage, - etwa der berühmten Vertonung einer Sternkarte im "Atlas eclipticalis" von 1961, - erscheint die Unendlichkeit mehr als Problem des menschlichen Fassungsvermögens als der technischen Reichweite. Heinz-Klaus Metzger, einer der einflussreichsten Musikdenker des 20.Jahrhunderts, spricht hier von der "Idee des Kosmos als Modell von Anarchie“ und nennt gar die „Irregularität das subversive Gesetz dieses Werks“.
Ort der Veranstaltungen
In der bei diesem Projekt erstmals realisierten Zusammenarbeit des KlangForum Heidelberg mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und dem Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), bietet sich die Gelegenheit, Idee, Form und Ort der Veranstaltungen angemessen „harmonisch“ zu verbinden: der 2011 auf dem Königstuhl entstandenen, der Spiralgalaxie M51 nachempfunden Bau des Hauses der Astronomie (HdA) enthält neben Forschungslabors auch einen musiktauglichen Hörsaal mit Kuppelprojektion. Multimediale Projektionstechnik für 3D-Visualisierungen von Simulationen und Forschungsresultaten. Normalerweise zur Popularisierung astronomischer Forschung und zum Austausch innerhalb der Forschungs-Community genutzt, öffnen sich dieser außergewöhnliche Raum in zwei der sechs Veranstaltungen des Projekts „Sternbild: Mensch“ der interdisziplinären und künstlerischen Interaktion mit der Neuen Musik.
Geplant sind sechs Konzertblöcke zunächst im November 2018, dann im Februar und Mai 2019 sowie im Februar, Juni und Oktober 2020.
Kompositionsaufträge
Eigens zu diesem Zweck werden Kompositionsaufträge an elf renommierte zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten vergeben; der besondere Rahmen dieses Veranstaltungsortes und der Kontext dieser Veranstaltungsreihe wird ihnen eine besondere Verbindung astronomischer, kosmischer und kosmologischer Fragen ermöglichen. Aus den vielfältig verschiedenen individuellen Entwürfen und Ansatzpunkten ihrer individuellen Auflösung des Dualismus von materiell-rationalem und spirituellem Fortschritt und Weltbild wird, – im Mikrokosmos jedes Werkes, im Kontext jeder einzelnen Veranstaltung, aber auch in der Makroform des sechsteiligen Veranstaltungszyklus -, der Versuch einer musikalisch-kosmologischen Zusammenschau entstehen.
In der Auswahl und den ersten Konzepten der Komponisten zeigen sich grundverschiedene Ansätze möglicher Ordnung des Kosmos, aber auch unserer Welt. Exemplarisch genannt seien die oktophonale Komposition aus Radiowellen (Originalmaterial der NASA) in Kombination mit Stimmen und Live-Elektronik (Valerio Sannicandro, s.u.), die Thematisierung akustischer Fasslichkeit des Dimensionengerüsts von Kosmologie in der Komposition des Raumes selbst (Hanna Eimermacher, s.u.), die Visualisierung und musikalische Transformation der Signale (Kooperation: Max-Planck-Institut) von als „kosmische Haufen“ bekannten Sternkonstellationen (Caspar Johannes Walter, s.u.), aber auch etwa Reflexionen zur Differenzierbarkeit und Poetik der Kosmologie (Johannes Schöllhorn, s.u.) oder die Konstruktion einer Klangwelt auf Basis gnostischer, (koptisch und mandäisch inspirierter) Schöpfungsmythen, gleichzeitig eine Hommage an den 'musicus doctus' Josquin Desprez (Bernhard Lang, s.u.).
Die genannten und alle übrigen Werke entstehen und entwickeln sich in enger Zusammenarbeit mit Experten für Astrologie sowie für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspädagogik.
Dramaturgie und historische Verortung
So werden die erstmals erklingenden Werke innerhalb der Konzertveranstaltungen dramaturgisch mit Wortbeiträgen (naturwissenschaftlicher, philosophischer und poetischer Art) und mit exemplarischen Vokalwerken der Renaissance verknüpft, in denen Komponisten wie Cipriano da Rore, Orlando di Lasso, Guillaume Dufay auf charakteristische Weise höchst „gelehrtes“ harmonikales Denken und höchste Sinnlichkeit des Klanges und der Raumgestaltung verbinden: auch das Überwältigungspotential des Weltraums und seiner Dimensionen sind keine Erfindung des 20. oder 21.Jahrhunderts.
Nebenbei erweist das Projekt „Sternbild: Mensch“ allerdings auch, dass harmonikal geprägtes Denken keineswegs notwendig grundtönig-monotone Obertonstrukturen zu Meditati-onszwecken hervorbringen muss – wie man insbesondere seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts annehmen musste -, sondern dass der Kosmos vielmehr reiches künstlerisches Potential für avancierte und komplexe „rocket science“ bietet.
Die für die Werkreihen von SCHOLA HEIDELBERG und ensemble aisthesis von je her charakteristische enge Verbindung von vokaler und instrumentaler Klangerzeugung wird in diesem Projekt durch die Integration modernster räumlicher Projektionsverfahren von Musik und Ton ergänzt. Eine musikalische Dramaturgie, lässt hier ungewohnte "anachronistische" Zusammenhänge über die Jahrhunderte hinweg entstehen, etwa diejenigen von computergestützt live-elektronisch generierten virtuellen Klangräumen einerseits mit "analogen“ musikalischen Klangräumen der Renaissance andererseits.